top of page

AUF VIRTUELLEN PFADEN DURCH DEN LOCKDOWN

Bildende Kunst lebt vom Sehen und Wahrnehmen, von Eindrücken, die das Auge aufnimmt, die vom Hirn weiterverarbeitet und unter Zuhilfenahme von Emotionen, Erfahrungen, Erinnerungen und äußeren Einflüssen in einen schöpferischen Prozess übersetzt werden. Aber die Bildende Kunst lebt auch von ihrer Haptik, ihrer Präsenz im Raum und nicht zuletzt von Begegnung. Wie also, mag man sich fragen, kann ein Kurs, in dessen Zentrum die Bildende Kunst steht, in den virtuellen Raum verlagert werden? In der Tat habe ich mich das auch gefragt, als zu Beginn des Lockdowns im Dezember 2020 klar wurde, entweder wir nutzen den virtuellen Raum für unser „Kunstlabor“ oder wir pausieren auf unbestimmte Zeit.


Bildende Kunst online funktioniert anders, das muss man ganz klar konstatieren. Technische Probleme, wie sie jeder von Zeit zu Zeit hat, bringen manchmal unscharfe Bildwiedergaben, ungewohnte Blickwinkel oder die Notwendigkeit mit sich, dass man sich im Extremfall auch nur akustisch - oder auch nur visuell - austauschen kann. Aber ein erster Vorteil ist damit trotzdem schon benannt: man kann sich austauschen. Das ist das Wichtigste. Die Zeit geht nicht kunstkontaktlos vorbei, wir sind präsent, wir arbeiten und entwickeln uns weiter, denn weitaus schlimmer als alle technischen Unannehmlichkeiten wäre Stillstand gewesen. 


Ein weiterer wesentlicher Punkt, der aus dem ersten resultiert und den eigenen Horizont immens erweitert, ist die Auseinandersetzung mit kunsttheoretischen und philosophischen Fragen. Diesen steht in unserem „Kunstlabor“ immer, definitiv auch in Präsenz, ein wichtiger Stellenwert zu, im virtuellen Raum jedoch hat sich dieser noch einmal potenziert. Denn fehlt die Möglichkeit, sich während des Schaffensprozesses in die eigene Arbeit zurückzuziehen und die Außenwelt auszublenden, kann man den Gegenübern auf dem Bildschirm nicht einfach so entfliehen - es ist uneingeschränkte Präsenz gefordert. Somit wird das Thema des einen zwangsläufig auch ein Anliegen des anderen - man denkt aktiv mit, sucht gemeinsam Lösungen und Entwicklungsmöglichkeiten. Man recherchiert Künstler (und manchmal natürlich auch Philosophen, die Übergänge sind fließend), diskutiert über sie und miteinander. Kurz gesagt: man lässt andere Menschen, andere Gedanken und Ideen, andere Geschichten im eigenen Schaffen noch unmittelbarer zu, als es in Präsenz der Fall gewesen wäre.


Wo die Mittel begrenzt sind, die Möglichkeiten minimalistisch, wächst die Kreativität und zur bildnerischen Umsetzung zwischen den Online-Terminen, zu selbst gewählten Zeitpunkten, ist es dann nur noch ein kleiner, wenn auch wesentlicher Schritt. Wir stellten fest, dass es manchmal sogar ganz gut ist, erst noch eine Runde nachzudenken und nicht gleich anzufangen, nur weil das Material bereitliegt. Wir stellten fest, dass manchmal eine ganz kleine praktische Intervention - in Komposition, Struktur, Farbgebung, oder, oder, oder - eine immense Denkarbeit fordert. Und wir stellten fest, dass diese Zeit vielleicht genau die richtige ist, um sich Herausforderungen zu stellen. Diese Erfahrungen werden wir, neben vielen anderen, mitnehmen, wenn wir uns hoffentlich bald wieder in Präsenz treffen können und sie werden unser künftiges Denken und Tun bereichern.

​

Ariane Faller, Mai 2021

Einleitung: Der Schulalltag
Einleitung: Text
bottom of page